"Ich
arbeite wie eine Evolutionsmaschine"
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Interview
von Christine Koller mit Bernhard Springer zum Thema Inspiration, |
Inspiration, was bedeutet das für Sie? B.S.:
Inspiration, das sind für mich Einflüsse von außen, die
bei mir als Künstler kreative Prozesse auslösen. Inspiration
beschreibt also ein bestimmtes Außen-Innen-Verhältnis in der
Beziehung von Individuum und Außenwelt. B.S.:
Eigentlich immer und überall. Nicht nur beim Arbeiten, sondern auch
in alltäglichen Situationen oder im Umgang mit Menschen. Die Umgangssprache
aber bezieht Inspiration vor allem auf die künstlerische Produktion. B.S.: Ich lasse mich von allem inspirieren, was ich aufnehme – von dem was ich sehe, rieche, lese, spüre, was mir zustößt oder was ich in Gesprächen mit Freunden erfahre. Das verarbeite ich dann wie in der Evolution: durch Anpassung, Selektion, Zufall oder Weiterentwicklung. Ein Biologe kann das besser ausführen. Wie versuchen Sie bahnbrechende neue Ideen zu finden, wie „nur“ einen Lösungsansatz für ein Problem? Gibt es da Unterschiede? B.S.:
Bei der Frage nach der „bahnbrechenden Idee“ höre ich
den Mythos vom Geniekult mitschwingen. Aber es gibt kein leeres Vorher,
du baust immer auf etwas auf. Auch ein Genie wie Einstein schöpfte
bei seiner Relativitätstheorie nicht aus dem Leeren, das ist immer
ein Prozess. Wenn ich zum Beispiel etwas lese oder sehe, setzt das bei
mir etwas in Gang und ich entwickle es automatisch weiter. Ich bin dann
so etwas wie eine Evolutionsmaschine. B.S.: Gut, wenn ich Sachen von außen aufnehme und verarbeite, gibt es Umfelder, die das verstärken. Als ich in meiner Jugend Ministrant war, kamen mir die besten Ideen bei der Messe, später als Führerscheinbesitzer bei monotonen Autofahrten und heute immer noch wenn ich am Meer bin. Das heißt, ein meditatives Umfeld, eine Mischung aus Monotonie, Langeweile und Entspannung, verstärken das Finden von Ideen. Das wiederum kann vielleicht ein Neurologe besser erklären. Wenn mir nichts einfällt, gerate ich deshalb nicht in Panik. Dann kaschiere ich Bilder, streiche Rahmen oder mache meine Steuererklärung. Es gibt genug unkreative Dinge, die erledigt werden müssen, und die Inspiration stellt sich dann schon wieder ein. Als ich in den 80-er Jahren in New York ausgestellt habe, kam es mir so vor, als wenn ein Auslöser für den starken Kokainkonsum in der damaligen Kunstszene auch in der Angst begründet war, die Kreativität und damit den Anschluss in der temporeichen Szene zu verlieren. Da putze ich lieber die Wohnung. Dann fällt mir bestimmt wieder etwas ein, weil der Geist dabei so wunderbar spazieren gehen kann.
B.S.:
Natürlich inspirieren mich andere und ich unterhalte mich auch gern.
Gerade bei Gruppenprojekten brauche ich das Gespräch mit anderen
und wir praktizieren klassisches Brainstorming. Generell ist es hilfreich,
Gedanken und Ideen in Worte zu fassen und sie dann im Gespräch durch
die Ansichten und Perspektiven anderer weiter zu entwickeln. Die Kunst
des Pitchens ist nicht nur beim Vermarkten hilfreich – sie hilft
auch dabei, den Kern eines Projektes klarer zu erkennen. B.S.:
Damit kann ich nicht viel anfangen. Das ist eine mythologische Figur,
die den Begriff der Inspiration versinnbildlicht. Der Musenkuss hat etwas
Theologisches an sich. Er lässt sich mit religiöser Erleuchtung
in Verbindung bringen und dann ist man sehr schnell wieder beim Geniekult,
der für mich eher negativ behaftet ist. Die Muse ist immer die geheimnisvolle
schöne Frau, die den solitären Künstlermann anregt - eine
Männerphantasie, die ich für nicht mehr zeitgemäß
halte. Ich sehe mich auch nicht als solitärer Künstlermann und
brauche eher den Austausch mit der Gruppe. (lacht)
B.S.: Da ist zum einen das Meer: Sonne, Sand und Strand inklusive dem
monotonen Rauschen der Wellen. Aber eigentlich kann mich wiederum jeder
Raum inspirieren, weil ich sehr ausgeprägt in der Wahrnehmung von
Räumen bin, und das bezieht sich dann auch auf Räume, die nach
dem konventionellem Geschmack als nicht attraktiv gelten. B.S.:
Wenn mir etwas Gutes einfällt, erlebe ich ein Gefühl von Euphorie.
B.S.
Ich versuche den Plan umzusetzen, denn die Idee ist ja nichts weiter als
der Anstoß, etwas zu versuchen. Während der Umsetzung verändert
sich die ursprüngliche Idee aber durch den Vorgang bspw. des Malens.
Hier ist dann der Umgang mit dem Material die Quelle der Inspiration.
Dieser eher ekstatische und unbewusste Vorgang lenkt den ursprünglichen
Plan in eine ganz andere, neue Richtung. Das Resultat am Ende aber muss
ich wieder bewusst betrachten, um eine neue Ebene zu erreichen. Sonst
folgt Stillstand, im schlechtesten Fall Rückschritt. B.S.: Hinderlich sind Perfektion und Informationsüberflutung, indem man zum Beispiel zu viel über ein Thema liest und dann keinen Platz für die Entwicklung mehr hat. Zu viel detailliertes Wissen produziert nur noch redundante Informationen. Wie versuchen Sie Inspirationskiller zu vermeiden? B.S.:
Indem ich dem – vielleicht auch notwendigen - Hang zu Perfektion
und Informationsansammlung bewusst Hindernisse in den Weg lege. So arbeite
ich gern mit "Fehlern", indem ich nur bruchstückhafte Informationen
erhalte, einen Text nicht richtig verstehe oder ein Bild nur undeutlich
sehe. Der Perfektion in der Malerei steuere ich entgegen, indem ich nur
noch mit Sprühdose oder Lackrolle male. Seit neuestem benutze ich
auch Wellpappe als Malgrund, was eigenartige Effekte auf meine Malerei
hat und den angenehmen Nebeneffekt, dass sich die Bilder gut verkaufen. B.S.: Immer etwas Neues machen. So halte es auch mit Daniel Boone, dem historischen Vorbild von Coopers „Lederstrumpf“, der, als ihn die Zivilisation der Krämer und Pfarrer eingeholt hatte, seine Flinte von der Wand nahm und wieder westwärts ins Indianerland ging. Und zu guter Letzt: Schenken Sie uns eine inspirierende Weisheit? B.S.:
Dazu fallen mir die letzten Zeilen aus Goethes Gedicht „Selige Sehnsucht“
ein: "Und solang du das nicht hast / Dieses Stirb und werde! / Bist
du nur ein trüber Gast / Auf der dunklen Erde.“ |
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