"Ich arbeite wie eine Evolutionsmaschine"

 

 

Interview von Christine Koller mit Bernhard Springer zum Thema Inspiration,
zuerst erschienen in: Christine Koller: Inspiration - jetzt!, München 2008, S. 53-58


 

Inspiration, was bedeutet das für Sie?

B.S.: Inspiration, das sind für mich Einflüsse von außen, die bei mir als Künstler kreative Prozesse auslösen. Inspiration beschreibt also ein bestimmtes Außen-Innen-Verhältnis in der Beziehung von Individuum und Außenwelt.

Wann brauchen Sie Inspiration?

B.S.: Eigentlich immer und überall. Nicht nur beim Arbeiten, sondern auch in alltäglichen Situationen oder im Umgang mit Menschen. Die Umgangssprache aber bezieht Inspiration vor allem auf die künstlerische Produktion.

Was machen Sie in solchen Situationen?

B.S.: Ich lasse mich von allem inspirieren, was ich aufnehme – von dem was ich sehe, rieche, lese, spüre, was mir zustößt oder was ich in Gesprächen mit Freunden erfahre. Das verarbeite ich dann wie in der Evolution: durch Anpassung, Selektion, Zufall oder Weiterentwicklung. Ein Biologe kann das besser ausführen.

Wie versuchen Sie bahnbrechende neue Ideen zu finden, wie „nur“ einen Lösungsansatz für ein Problem? Gibt es da Unterschiede?

B.S.: Bei der Frage nach der „bahnbrechenden Idee“ höre ich den Mythos vom Geniekult mitschwingen. Aber es gibt kein leeres Vorher, du baust immer auf etwas auf. Auch ein Genie wie Einstein schöpfte bei seiner Relativitätstheorie nicht aus dem Leeren, das ist immer ein Prozess. Wenn ich zum Beispiel etwas lese oder sehe, setzt das bei mir etwas in Gang und ich entwickle es automatisch weiter. Ich bin dann so etwas wie eine Evolutionsmaschine.

Nutzen Sie Kreativtechniken – wenn ja, welche?

B.S.: Gut, wenn ich Sachen von außen aufnehme und verarbeite, gibt es Umfelder, die das verstärken. Als ich in meiner Jugend Ministrant war, kamen mir die besten Ideen bei der Messe, später als Führerscheinbesitzer bei monotonen Autofahrten und heute immer noch wenn ich am Meer bin. Das heißt, ein meditatives Umfeld, eine Mischung aus Monotonie, Langeweile und Entspannung, verstärken das Finden von Ideen. Das wiederum kann vielleicht ein Neurologe besser erklären. Wenn mir nichts einfällt, gerate ich deshalb nicht in Panik. Dann kaschiere ich Bilder, streiche Rahmen oder mache meine Steuererklärung. Es gibt genug unkreative Dinge, die erledigt werden müssen, und die Inspiration stellt sich dann schon wieder ein. Als ich in den 80-er Jahren in New York ausgestellt habe, kam es mir so vor, als wenn ein Auslöser für den starken Kokainkonsum in der damaligen Kunstszene auch in der Angst begründet war, die Kreativität und damit den Anschluss in der temporeichen Szene zu verlieren. Da putze ich lieber die Wohnung. Dann fällt mir bestimmt wieder etwas ein, weil der Geist dabei so wunderbar spazieren gehen kann.


Wie ist es mit anderen Personen, in wiefern inspirieren Sie die?

B.S.: Natürlich inspirieren mich andere und ich unterhalte mich auch gern. Gerade bei Gruppenprojekten brauche ich das Gespräch mit anderen und wir praktizieren klassisches Brainstorming. Generell ist es hilfreich, Gedanken und Ideen in Worte zu fassen und sie dann im Gespräch durch die Ansichten und Perspektiven anderer weiter zu entwickeln. Die Kunst des Pitchens ist nicht nur beim Vermarkten hilfreich – sie hilft auch dabei, den Kern eines Projektes klarer zu erkennen.

Stichwort Muse, was bedeutet das für Sie?

B.S.: Damit kann ich nicht viel anfangen. Das ist eine mythologische Figur, die den Begriff der Inspiration versinnbildlicht. Der Musenkuss hat etwas Theologisches an sich. Er lässt sich mit religiöser Erleuchtung in Verbindung bringen und dann ist man sehr schnell wieder beim Geniekult, der für mich eher negativ behaftet ist. Die Muse ist immer die geheimnisvolle schöneFrau, die den solitären Künstlermann anregt - eine Männerphantasie, die ich für nicht mehr zeitgemäß halte. Ich sehe mich auch nicht als solitärer Künstlermann und brauche eher den Austausch mit der Gruppe. (lacht)

Wie ist es mit speziellen Räumen und Plätzen?

B.S.: Da ist zum einen das Meer: Sonne, Sand und Strand inklusive dem monotonen Rauschen der Wellen. Aber eigentlich kann mich wiederum jeder Raum inspirieren, weil ich sehr ausgeprägt in der Wahrnehmung von Räumen bin, und das bezieht sich dann auch auf Räume, die nach dem konventionellem Geschmack als nicht attraktiv gelten.

Was passiert bei Ihnen selbst, wenn Sie Inspiration erfahren? Wie fühlt sich das an?

B.S.: Wenn mir etwas Gutes einfällt, erlebe ich ein Gefühl von Euphorie.

Wie gehen Sie mit neu gefundenen Ideen um?

B.S. Ich versuche den Plan umzusetzen, denn die Idee ist ja nichts weiter als der Anstoß, etwas zu versuchen. Während der Umsetzung verändert sich die ursprüngliche Idee aber durch den Vorgang bspw. des Malens. Hier ist dann der Umgang mit dem Material die Quelle der Inspiration. Dieser eher ekstatische und unbewusste Vorgang lenkt den ursprünglichen Plan in eine ganz andere, neue Richtung. Das Resultat am Ende aber muss ich wieder bewusst betrachten, um eine neue Ebene zu erreichen. Sonst folgt Stillstand, im schlechtesten Fall Rückschritt.

Wann geht gar nichts? Was sind Inspirationskiller?

B.S.: Hinderlich sind Perfektion und Informationsüberflutung, indem man zum Beispiel zu viel über ein Thema liest und dann keinen Platz für die Entwicklung mehr hat. Zu viel detailliertes Wissen produziert nur noch redundante Informationen.

Wie versuchen Sie Inspirationskiller zu vermeiden?

B.S.: Indem ich dem – vielleicht auch notwendigen - Hang zu Perfektion und Informationsansammlung bewusst Hindernisse in den Weg lege. So arbeite ich gern mit "Fehlern", indem ich nur bruchstückhafte Informationen erhalte, einen Text nicht richtig verstehe oder ein Bild nur undeutlich sehe. Der Perfektion in der Malerei steuere ich entgegen, indem ich nur noch mit Sprühdose oder Lackrolle male. Seit neuestem benutze ich auch Wellpappe als Malgrund, was eigenartige Effekte auf meine Malerei hat und den angenehmen Nebeneffekt, dass sich die Bilder gut verkaufen.

Was bestimmt ein inspiriertes Leben?

B.S.: Immer etwas Neues machen. So halte es auch mit Daniel Boone, dem historischen Vorbild von Coopers „Lederstrumpf“, der, als ihn die Zivilisation der Krämer und Pfarrer eingeholt hatte, seine Flinte von der Wand nahm und wieder westwärts ins Indianerland ging.

Und zu guter Letzt: Schenken Sie uns eine inspirierende Weisheit?

B.S.: Dazu fallen mir die letzten Zeilen aus Goethes Gedicht „Selige Sehnsucht“ ein: "Und solang du das nicht hast / Dieses Stirb und werde! / Bist du nur ein trüber Gast / Auf der dunklen Erde.“

 

 

 

 

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